Der Hooligan by Damaris Kofmehl

Der Hooligan by Damaris Kofmehl

Autor:Damaris Kofmehl [Kofmehl, Damaris]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783038485766
Herausgeber: `fontis - Brunnen Basel
veröffentlicht: 2013-02-05T23:00:00+00:00


18. Der Duft der Freiheit

Wir fuhren bis zum Zittauer Gebirge an der tschechischen Grenze, ließen das Auto stehen und liefen querfeldein durch den Wald. Mir war klar, dass dies meine einzige und letzte Chance war, in den Westen zu kommen. Die grüne Grenze war jetzt überhaupt die einzige Möglichkeit für mich, die DDR jemals zu verlassen, denn die Stasi hatte meinen Reisepass durch einen PM12-Ausweis ersetzt, und mit diesem Ausweis wurde ich an jeder Grenze automatisch gestoppt. Sie wollten sichergehen, dass ich keinen Unfug mehr anstellte und schön brav im Osten blieb. Aber damit war jetzt endgültig Schluss. Ich würde nicht im Osten bleiben.

Wenn jetzt ein Grenzwächter kommt, dachte ich, dann hau ich dem eins über den Schädel. Ist mir schnurzegal. Diesmal wird mich niemand daran hindern, dieses schreckliche Land zu verlassen! Diesmal wird es klappen!

Flink wie ein Wiesel rannte ich voran, und Dirk keuchte wie eine Dampflokomotive hinter mir her. Es war dunkel, und manchmal stolperten wir über eine vorstehende Wurzel oder einen Stein. Doch wir hielten es für besser, keine Taschenlampen zu benutzen, um nicht irgendwelche Grenzwächter auf uns aufmerksam zu machen. Mit der Zeit gewöhnten sich unsere Augen an die Dunkelheit, und das Vorankommen wurde etwas leichter. Wir redeten nicht viel. Zwischendurch gönnten wir uns eine kleine Verschnaufpause, tranken ein paar Schlucke Wasser aus unseren Flaschen, dann huschten wir weiter, von einem Busch zum andern, immer schön geduckt und in der Hoffnung, keinem Grenzwächter zu begegnen.

Irgendwann erreichten wir einen Zaun und kletterten darüber.

«Meinst du, das war der Grenzzaun?», fragte Dirk, völlig außer Puste. «Meinst du, wir sind jetzt in der Tschechoslowakei?»

«Ich bin mir nicht sicher, Dirk», sagte ich. «Wir laufen jetzt einfach weiter, bis wir an eine Straße kommen und ein tschechisches Auto sehen. Komm!»

Wir eilten weiter, versteckten uns hinter Gebüschen und Felsbrocken, stolperten einen langen Hang hinunter und erreichten plötzlich eine große Straße. Hier warteten wir hinter einem dicken Baumstrunk, bis wir aus der Ferne das Geräusch eines nahenden Autos hörten. Es war ein Škoda, und als er an uns vorbeigeflitzt war, guckte ich vorsichtig hinter unserem Versteck hervor, um das Nummernschild zu sehen: Es war ein tschechisches Kennzeichen. Ich schüttelte Dirk vor Freude hin und her.

«Dirk, wir haben es geschafft!», sagte ich. «Wir sind in der Tschechoslowakei! Es hat geklappt!»

«Dann kann ich jetzt ja endlich in Ruhe meine Stulle essen», meinte Dirk erleichtert.

«Aber beeil dich», sagte ich. «Wir haben noch eine weite Reise vor uns. Wir müssen nach Prag.»

«Ja, aber erst wenn ich meine Stulle gegessen habe», wiederholte Dirk, «sonst mache ich keinen Schritt mehr weiter.»

Also packte Dirk ein Butterbrot aus, und während er die Stulle genüsslich verschlang, zählte ich unser Geld. Es begann zu dämmern über den Bergen. Wir waren die ganze Nacht unterwegs gewesen, unser Körper verlangte nach Schlaf, aber dafür war jetzt keine Zeit. Ein Nickerchen konnten wir machen, wenn wir in der Deutschen Botschaft in Sicherheit waren. Vorher nicht. Und so schlenderten wir die Straße entlang und suchten jemanden, der uns mit nach Prag nehmen würde. Wir quatschten einfach ein paar Leute an, bis ein junger Tscheche sich dazu bereit erklärte.



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